Beziehung geschieht zwischen Ich und Du. Das gilt auch für die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Die Verbindung zu den Eltern bedeutet für ein Kind die Grundform einer Beziehung schlechthin. Eltern wirken auf ihre Kinder, Kinder auf ihre Eltern. Beide wachsen aneinander. Ihr Verhältnis ist wesentlich geprägt durch Liebe, doch nicht nur. Es gibt den Hass zwischen Menschen, leider auch zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern.
Hass kann, wie die Liebe, der Ausdruck einer intensiven Beziehung sein. Hass ist mehr als Gleichgültigkeit. Martin Buber schreibt dazu: »Doch der unmittelbar Hassende ist der Beziehung näher als der Lieb- und Hasslose« (Buber, 2017, 22).[1]
Kann das ein Trost für verlassene Eltern sein?
Ein Kind wird in das Leben seiner Eltern geworfen. Niemand kann erklären, warum ein ruhiges, zurückgezogenes Kind mit einem quirligen, sportvernarrten Vater zusammenkommt, oder ein extravertiertes, bewegungsfreudiges Mädchen mit einer ebensolchen Mutter. Das Zusammentreffen mag in einem übernatürlichen Sinn ein Akt der Wahl sein. Doch wer hat wen erwählt? Warum? Wozu? Ob der vielen Rätsel ist eines gewiss; die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist für beide schicksalshaft. Selten sind Gefühle von Freude und Trauer so intensiv, wie wenn sie im Zusammenhang mit den eigenen Kindern stehen.
Ein Kind ist in den ersten Jahren auf die Liebe und Fürsorge seiner Eltern angewiesen. Dass die Eltern-Kind-Beziehung die Entwicklung von Aufwachsenden in besonderem Masse prägt, ist eine alte Weisheit, die immer wieder neu aufgelegt und bestätigt wird. Ein aktuelles Schlagwort: »Je mehr Liebe, desto mehr Hirn« zeigt im Zeitalter der Neurowissenschaften die Bedeutung der positiven Zuwendung für ein Kind.
(Vgl. https://mymonk.de/kinder-gehirn/)
Eltern entwickeln in der Beziehung zu ihren Kindern innigste Gefühle und lernen manches neu sehen. Wenn ihre Lieblinge sich in der Pubertät dem Einflussbereich der Eltern zu entziehen beginnen, ist das meist ein bisschen schmerzhaft, vor allem wenn die Nachkommen so ganz andere Wege einschlagen, als uns eigentlich lieb ist. Kehrt ein Kind seinen Eltern definitiv den Rücken zu, bricht eine Welt zusammen. Ein (scheinbarer) Beziehungsabbruch lässt viele verlassene Eltern zuerst einmal gebrochen zurück. Es braucht Jahre, um mit der neuen Realität zurecht zu kommen.
Ein Kind wird seine Erklärungen dafür haben, oder auch nicht. Vielleicht ist der Hass die Voraussetzung für ein eigenständiges Leben, vielleicht ist das Nein zu den Eltern die einzige Möglichkeit, sich einem anderen Du zuzuwenden? Nach Buber ist ein hasserfüllter Kontaktabbruch jedenfalls kein Ausdruck von Gleichgültigkeit. Er zeigt die negative Einstellung gegenüber einem wichtigen Du, welches nicht förderlich ist, sich selbst zu werden.
Hassbeziehungen zwischen Eltern und Kind gehen vermutlich meist intensive Liebesbeziehungen voraus. Wenn aus Liebe Hass wird, zerbrechen Herzen.
Wer erhofft sich nicht einen Wandel in die umgekehrte Richtung! Wer wünschte sich nicht eine erneute Zuwendung des abgekehrten Du? Welche Eltern möchten nicht dem verlorenen Kind wieder gegenübersitzen, ihm etwas Feines auf den Tisch stellen, ihm zuhören, es in die Arme schliessen?
Das ewige Du, womit Buber Gott, das wahre, und vermutlich das einzig verlässliche Du meint, ist für religiöse Menschen Quelle der Hoffnung und Ziel der Sehnsucht. Die Hinwendung zu dieser ewigen Liebe, die sich nie in Hass verwandelt; zur Kraft, die das Gute will, eröffnet weitere Perspektiven. In diesem Feld des grenzenlosen Lichts erfahren verletzte Menschen Heilung, und gebrochene Beziehung erneuern sich. Hass verwandelt sich und Unerwartetes kann möglich werden. Das Ich wird am ewigen Du. Nicht wie der Mensch es sich denkt, und erhofft, sondern wie das ewige Du es lenkt. Und das ist immer gut.
[1] Martin Buber (1974): Ich und Du. München: Gütersloher Verlagshaus. (17. Auflage, 2017)
von Irina Bach