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»Unsre Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.« (Psalm 124, 7 / Die Bibel, Einheitsübersetzung)
Ich möchte manchmal – wie ein Kranich – weite Kreise ziehen, mich leicht, sorglos und frei fühlen. Ich würde über den Dingen und weniger um mich selbst kreisen. Die Bilder von einem schlimmen Ereignis wären aus der Distanz weniger eindringlich, der Schreck würde verfliegen, Trauer und Wut sich verflüchtigen. Alle Erdenschwere fiele von mir ab — ich würde weiterziehen, immer weiter, nach vorne schauen, selten hinunter und nie zurück. Und wenn ich wieder Boden unter den Füssen fände, wäre alles neu.
Gefangen in der Enge unseres Alltags stellen wir uns häufig dieselben Fragen: Was will ich (noch) erreichen? Bin ich genügend innovativ? Warum wurde ich verlassen? Wie finde ich einen besseren Partner? Was denken die Nachbarn über meinen Garten? Warum besuchen mich die Kinder so wenig? Was habe ich falsch gemacht? Anforderungen engen uns ein, etwa wenn das eigene Kind Lernschwierigkeiten hat oder der kranke Vater unsere Hilfe braucht. Setzen körperliche oder seelische Schmerzen uns Grenzen, sind wir wie ein gestauchter Vogel.
Es ist gut, sich manchmal zu hinterfragen. Natürlich setzen Aufgaben, Schicksalsschläge und Krankheiten uns Grenzen. Doch das Nachdenken in Endlosschlaufen über unser Leid, unsere Kränkungen oder die verpassten Chancen engt ein. Die Beschäftigung mit unseren Wünschen für die Zukunft verhindert das Sein im Jetzt. Wer möchte nicht dem eigenen Gedankensturm über das Gestern und Morgen manchmal entschweben?
In einem Gespräch, an einem Fest, durch Schreiben, durch Sport oder einen Spaziergang im Wald, durch Lesen oder Arbeit können wir vergessen. Und in jeder Lebenslage können wir uns vom ewigen Du, welches manche Menschen Gott nennen, anziehen lassen. Darin aufgehoben zieht die Seele ihre weiten Kreise schon im Hier und Jetzt. Wir erahnen einen Hauch der Ewigkeit.
Bitte um Befreiung von sich selbst
Ewiges Du –
Schon wieder denke ich über meine Ziele nach,
statt zu fragen:
Was kann ich der Welt geben?
Schon wieder klage ich über zu wenig Liebe,
statt zu fragen:
Wie kann ich selber mehr lieben?
Schon wieder bin ich traurig über meinen Verlust,
statt zu fragen:
Welche Menschen brauchen Trost?
Schon wieder suche ich Anerkennung bei Menschen,
statt zu fragen:
Wie kann ich dir gefallen?
Gott, ich möchte
das ständige Kreisen um mich selbst lassen
und mich auf deine Führung verlassen,
die Angst mit Mut vertauschen
und auf den Klang der Liebe lauschen,
mich an dich binden
und so Freiheit finden.
Amen