Mein Bruder kann meiner spontane Einladung für einen gemeinsamen Ausstellungsbesuch zu Viert nicht nachkommen. Er ist dann anderswo. Mit einer Absage musste ich rechnen. In einem sachlichen Ton teilt er mir dann noch mit, in den nächsten zwei Monate sei viel los und ein Wiedersehen unmöglich. Wir würden uns dann am offiziellen Geschwistertreffen sehen. Ich spüre einen Stich.
Genau deswegen habe ich in meinem Leben mehr als einmal Kontaktversuche unterlassen. Das Nein kränkt mich. Jede Kontaktanfrage birgt für mich eine Verletzungsgefahr. Es geht nicht allen Menschen so damit. Mein Mann beispielsweise nimmt so etwas sportlich. Eine Absage tangiert ihn, treffen kann sie ihn kaum. Nie bleibt er lange in seiner Enttäuschung hängen.
Mein Mangel an Selbstsicherheit war schon immer da. Einige Gründe dafür könnte ich ohne Nachdenken aufzählen. Verschwinden tut das Defizit durch Verstehen nicht.
Nach der totalen Zurückweisung durch meinen Sohn vor mehr als zehn Jahren hätte ich Zurückweisung durch Menschen besonders schlecht ertragen. Ich wähle mir noch heute sorgfältige Menschen aus, brauche noch immer viel Ruhe, vermeide allzuviel Belanglosigkeit im Kontakt.
Mein Bruder gehört zu den Menschen, die mir lieb sind. Er ist beschäftigt, unternehmungslustig, liebt Gesellschaft. Er wollte mich bestimmt nicht zurückweisen. Klar, anderes ist wichtiger, weh tun wollte er mir nicht. Vielleicht ist er unsorgfältig.
Und dann kommt Freude auf: Indem mein Bruder keine Zeit für ein Zusammmensein hat, habe ich Zeit gewonnen für Anderes, kann Schreiben, mit lieben Nachbarn spazieren, muss nicht einkaufen und nicht kochen.
Dass mein Bruder mir später noch geschrieben hat, er hoffe doch sehr, dass wir einander ein anderes Mal treffen, hat mich gefreut.