Nägel im Kopf gibt einen Einblick in das Leben eines vulnerablen Menschen, der seine Mutter total verneint. Wie kommt er zu diesem radikalen Entscheid?
Zurückgelassene Eltern suchen Erklärungen, fühlen sich schuldig. Zurecht? Zu Unrecht?
Nägel im Kopf ist ein Versuch, Unerklärbares im Leben eines Menschen mit besonderen psychischen Herausforderungen zu verstehen. Das Buch handelt von einem zerstörerischen Innenleben aber auch vom Reichtum des Lebens, von Hoffnung und der Bedeutung des Du. Nägel im Kopf ist ein Plädoyer für das Ende der Unheilbarkeit und für die Autonomie von Menschen, die wir so sehr lieben und so wenig begreifen.
Rezensionen
Nägel im Kopf von Irina Bach
Verlag Seidel & Schütz, März 2022
ISBN 978-3-03846-922-3
Existieren Gründe jenseits von Schuld?
Rezension von Doris Gehrke, Augsburg, 20.6.2022
Das Buch „Nägel im Kopf“ von Irina Bach ist aus der Erzählperspektive des Hauptprotagonisten, David, geschrieben. Der Leser wird sofort mitten in das Geschehen um David hineingenommen. Dieser befindet sich zu Beginn der Erzählung gerade auf einer Rundreise in Australien, denn Reisen tun David gut. Nichtsdestotrotz hat er jedoch auch hier mit Alpträumen zu kämpfen. Dies verstärkt sich durch ein Attentat, dem er in Australien fast zum Opfer fällt und das ihm ein Nahtoderlebnis verschafft.
Zurückgekehrt beginnt David deshalb mit einer Psychotherapie bei Abdennour Mazari, dessen symbolträchtiger Vornamen übersetzt „Diener des Lichts“ bedeutet. Diesem weisen Mann gelingt es, so allmählich, aus David dessen Vergangenheit und v. a. die teils weit zurückliegenden Probleme mit seiner Persönlichkeit herauszukitzeln. Ihm kann David von seinen „Gewittern im Bauch“ und den „Nägeln im Kopf“ erzählen. Abdennour versteht ihn und zeigt ihm im gemeinsamen Gespräch Wege, wie David sich vor sich selbst schützen kann, wie er Ordnung im manchmal entstehenden Chaos in seinem Kopf bringen kann.
Ein wichtiges Thema ist für David aber auch die Beziehung zu seiner Mutter, von der er zu Beginn behauptet, sie könne gar nicht seine Mutter sein. Deshalb hat er den Kontakt zu ihr völlig abgebrochen. Im Weiteren gibt er seiner Mutter und ihrem Verhalten die Schuld für die Dunkelheit und das Chaos in seinem Kopf. Das Bild zu ihr sei „eingefroren“, die Beziehung „erstarrt“.
Wer die Autorin kennt und vielleicht sogar ihr Buch „Mother is deleted – aus dem Leben verbannt“ gelesen hat, weiß, dass Irina Bach selbst Mutter eines Sohnes ist, der den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Gerade dies macht für mich das Buch besonders wertvoll. Hier schlüpft eine betroffene Mutter in die Rolle des verlassenden Kindes und versucht auf diese Weise nachzuvollziehen, warum das Kind den Kontakt zur Mutter vielleicht sogar abbrechen musste.
Diesen Perspektivenwechsel, den die Autorin vorgenommen hat, finde ich sehr faszinierend. Denn für mich wird der in diesem Buch vorgestellte Grund für den Beziehungsabbruch gerade deshalb glaubwürdig, weil nicht ein sich rechtfertigendes Kind dieses Werk verfasst hat, sondern eine Mutter, die sozusagen von einer objektiveren Warte nach Gründen sucht und letztlich die Position des Kindes nachzuvollziehen versucht. Dem betroffenen Leser bietet die Erzählung so die Möglichkeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob außer einem verschuldeten Abbruch auch Gründe jenseits von Schuld existieren, die zu einem Beziehungsabbruch führen mussten. Wenngleich ich nicht verkenne, dass es natürlich auch andere Fallkonstellationen gibt als den hier geschilderten.
Mir gefällt besonders, dass Davids Weg nicht im Dunkel der Nächte und Alpträume stecken bleibt, sondern wie schon Abdennours Name verrät, für ihn ein Weg zum Licht gebahnt wird.
Deshalb möchte ich dieses Buch uneingeschränkt weiterempfehlen. In Sternen ausgedrückt, vergebe ich gerne fünf Sterne.
Wer nun nach der Lektüre dieses Werkes neugierig geworden ist und auch die mütterliche Sicht eines Kontaktabbruchs nachempfinden möchte, dem empfehle ich das hervorragend geschriebene Vorgängerwerk von Irina Bach „Mother is deleted – aus dem Leben verbannt“.
Bin ich ein Aspi?
Rezension von Margrit Schaller, Unterwindisch, 23.05.22