Kein Blumenstock zum Muttertag

 

 

Meine Mutter sagte, der Muttertag sei ihr nicht wichtig. Sie war aber über jedes ihrer acht Kinder enttäuscht, welches ihr an eben diesem unwichtigen Tag keinen Blumenstrauss brachte. Sie schielte zur Nachbarin und zählte die Autos vor deren Haustüre – und mag sich das Blumenmeer in der Stube vorgestellt haben. Der Muttertag ist oft mit Herzschmerz und Enttäuschung verbunden.
Als Mutter habe ich mich natürlich über die Basteleien meiner Buben gefreut. Später habe ich sie ‘offiziell’ davon befreit, mich am Muttertag zu beschenken. Die Kommerzialisierung der Mutterschaft irritierte mich zusehends mehr. Vielleicht wollte ich mich auch einfach vor möglichen Enttäuschungen schützen. Welche Jungs denken in ihrer Pubertät schon an einen Muttertag?

Muttertag nach elf Jahren Kontaktabbruch

Im Jahr der Corona Pandemie habe ich beinahe vergessen, dass am 10. Mai schon wieder Muttertag ist, was aber nicht bedeutet, dass mein Verhältnis dazu ganz locker ist. Das hat nichts damit zu tun, dass mir mein Ältester keinen Blumenstock schenkt. Er hält sich einfach an unsere Abmachung von früher. Ist in Ordnung. Hingegen ist Muttertag seit bald elf Jahren immer wieder ein Anlass, über das Nichtverhältnis zu meinem jüngeren Sohn nachzudenken. Und natürlich frage ich mich, ob er an mich denkt.
Heute überdenke ich weniger meine scheinbar missglückte Rolle als Mutter.
Meine Gedanken sind bei allen Müttern mit abgebrochenen Beziehungen zu ihren Kindern, auch bei den Grossmüttern, die ihre Enkel nicht aufwachsen sehen. Viele Mütter sind traurig, weil ihr Kind verstorben ist oder nie geboren wurde. Die Kinder vieler Mütter sind auf der Flucht, im Gefängnis oder verschollen – ein Kontakt unmöglich. Auch für Mütter körperlich oder psychisch kranker Kinder ist der Austausch oft erschwert oder ganz unmöglich. Das Leid ist gross, wenn Kinder und Mütter sich entfremdet und verloren haben. So viele Mütter erhalten keinen Blumenstock. Und was ist erst mit den Blumenstöcken für kinderlose Frauen, deren Kinderwunsch unerfüllt geblieben ist?

Mutter Gottes Distanz zu ihrem Sohn

Maria musste ihren Sohn schon früh gehen lassen und hat wohl manchmal bittere Tränen um ihn geweint. Ihr Sohn hat sich wiederholt von ihr distanziert, etwa an der Hochzeit von Kana, als sie ihn darauf aufmerksam machte, dass es an Wein fehlt. Jesus hat ihr für unsere Ohren unwirsch geantwortet: »…Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« (Johannes, 2,4) Wie hat Maria das aufgefasst? Als Beziehungsklärung oder als Ablehnung?
Als Maria und die Brüder von Jesus mit ihm sprechen wollten, sagte er: »… Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?«  (Matthäus, 12, 48,49) Maria wusste immer, dass sie kein (Allein)Recht auf ihr Kind hat. Zweifellos hat ihr der Weg ihres Sohnes dennoch weh getan, auch wenn sie wusste, dass er sie nicht kränken wollte, sondern das Heil der ganzen Menschheit über familiäre Bindungen stellte. Vermutlich hätte Jesus an einem Muttertag allen Frauen Wertschätzung zeigen wollen, weil ein Sohn Gottes eben alle Menschen, alle Mütter liebt, und das ganz unabhängig von den Brüchen mit den Kindern.
An Maria hat mich immer beeindruckt, wie sie ihren Sohn ganz seinem Auftrag überlassen hat. So scheint es mir jedenfalls. Weil sie gelitten hat, versteht sie den Schmerz von uns Müttern um unsere Kinder. Sie würde uns in die Arme nehmen und uns in unserer Mütterlichkeit bestärken.

Muttertag – Tag der Mütterlichkeit

Mütterlichkeit hat vielleicht gar nicht so viel mit ‘Mutter sein’ zu tun, sondern mehr mit menschlichen Qualitäten, die alle Menschen haben können. Sie ist auch keineswegs nur Frauen vorbehalten. Bei Maria sehen wir, was Mütterlichkeit alles heissen kann:
Fürsorge: Sie war besorgt, dass die Menschen am Fest genug Wein haben.
Loslassen: Sie überliess ihren Sohn seinem Auftrag. Sie hatte keine Ansprüche an ihn.
Mitgefühl: Sie begleitete ihren Sohn auf seinem schmerzensvollen Gang nach Golgatha.
Verbundenheit mit Frauen: Sie teilte ihr Leid am Kreuz mit anderen Frauen.
Würde im Leid: Sie liess sich von ihrem Schmerz nicht brechen. Sie war weiterhin für andere da.
Vertrauen in das Göttliche: Sie nahm die Botschaft des Engels an, obwohl sie annehmen musste, dass ihre Mutterschaft mit gesellschaftlicher Ächtung verbunden ist.
Hingabe an das Leben: Sie wurde die Mutter Gottes, sie hat das Göttliche geboren. Und das ist unfassbar.

Der Tag der Mütter gilt allen fürsorglichen und mitfühlenden Frauen. Er gehört Frauen, die einem Kind das Leben schenken – und allen Menschen, die gute Ideen gebären, hingebungsvoll und kreativ tätig sind und Sinn stiften. Ein Tag der Mütterlichkeit in diesem Sinne ist ein Tag für Frauen und Männer.
Das Mitgefühl soll dennoch am Muttertag 2020, dem Muttertag in Corona Zeiten allen Müttern gelten, die in gebrochenen Beziehungen zu ihren Kindern leben. Es soll aber auch ein Tag der Freude für alle Mütter sein, die mit ihren Kindern Glück erfahren dürfen.
Möge der Muttertag auch ein Tag der Hoffnung sein, dass Zerbrochenes heil wird und Ganzes heil bleibt.

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