Fünfzehn Jahre nach Kontaktabbruch


Vor fünfzehn Jahren habe ich die Zelte in der Stadt abgebrochen und im Pfarrhaus auf dem Lande voller Enthusiasmus ein neues Leben begonnen. Und vor fünfzehn Jahren habe ich realisiert, dass ein bedeutsamer Teil meines Lebens in Trümmern liegt. Mein Sohn hatte den Kontakt zu mir abgebrochen. Inzwischen leben mein Mann und ich schon seit sieben Jahren in einem kleinen Städtchen am Fusse des Juras und die Scherben sind noch immer nicht geflickt. Dazu braucht es zwei. Aus mir heraus kann ich nichts tun. Aber da sind noch andere Kräfte und Pläne, die ich nicht kenne. Gottes Logik ist anders.

In meinem persönlichen Leben ist es die Beziehung zu meinem Sohn, die nicht heilbar scheint. Damit bin ich nicht alleine. Immer wieder höre ich von Eltern, die um ihre verlorenen Kinder trauern.
Und in der grossen weiten Welt gibt es so viele Trümmerhaufen wie noch nie. So kommt es mir vor, wenn ich an den Krieg in der Ukraine, an die Katastrophe in Gaza oder an die Frauen und Mädchen in Afghanistan denke.

War es jemals anders?
Nein, denke ich, wenn ich etwa an die Verfolgung der Juden über Jahrtausende hinweg denke, um nur ein Beispiel des gewaltigen Aggressionspotentials zwischen Menschen und Völkern zu nennen.

Wird es jemals anders sein?
Daran zweifle ich inzwischen.

Heute Morgen war der Wald frisch gewaschen. Die Bäume rauschten, Wassertropfen fielen wie Regen von den Blättern, die Vögel zwitscherten wie eh und jeh. Gemächlichen Schrittes murmelte ich das Jesusgebet: »Herr Jesus Christus, erbarme dich». Ich bat Jesus um sein Erbarmen für mich und meinen Sohn, für alle Eltern und Kinder, deren Beziehungen in Trümmern liegen, für Menschen in Konfliktgebieten und auf der Flucht, für Menschen die ein grosses Leid und eine grosse Last tragen. Die Liste der Anliegen ist sehr lange.

Logik Gottes

Zuhause erzählte mir mein Mann von einer Predigt von Michael Trowitzsch (2012): »Wir, die seltsamen Wächter,«[1], eine aus Zeiten des ‘Zweiten Golfkrieges’ und des 11. Septembers. Darin schreibt er von den Härten im Leben von jedem einzelnen Menschen und in der Geschichte der Menschheit:
»Es hat keinen Sinn, davor die Augen zu verschliessen. Die eiserne Unaufhaltsamkeit der Geschichte ist aber nicht die Logik Gottes. Die geht auf Unterbrechung und Neubeginn« (Trowitzsch, 2012, 81).

Im Vertrauen auf die Logik Gottes, in der

Hilflosen geholfen wird,
Kraftlose Kraft erhalten,
Unheilbares heilen kann,
aus Trümmern Neues wächst und
Konflikte ein Ende haben,
flehe ich Dich, Gott an:

Erbarme dich.
Tritt für uns ein.
Vergib uns.
Lass uns im Licht und in der Liebe gehen. 


[1] Michael Trowitzsch (2012): Trost und Trotz. Evangelische Predigten. Weimar und Eisenach: Wartburg Verlag, 78-82.