Inneren Frieden finden

Anlegestelle


Im SWR Nachtcafé «Vom Glück des Wiedersehens» (16. September 2022) erzählte eine Mutter mit Namen Betina über die Erfahrung des verhinderten Wiedersehens durch den einseitigen Kontaktabbruch ihres achtzehnjährigen Sohnes vor acht Jahren. Die gefassten, klaren Worte über ihre Erfahrungen und Gefühle haben mich beeindruckt. Das Gespräch drehte sich unter anderem um einen lebensfördernden Umgang mit dem Verlust eines Kindes durch Trennung. Wichtig sei, den inneren Frieden damit zu finden, war man sich einig. In diesem Beitrag frage ich mich, was innerer Friede bedeutet, und inwieweit ich über die Tatsache, dass mein Sohn aus meinem Leben verschwunden ist, mit mir im Frieden bin.

Was behindert und fördert inneren Frieden?

Nach dem Kontaktabbruch befand ich mich in einer Endlosschleife von Schuldgefühlen. Ich bohrte nach Gründen. Erinnerungen schmerzten, die Wortlosigkeit kränkte, die eigene Ohnmacht erzeugte Wut. Das Leben kam mir ungerecht vor. Ich war völlig verunsichert und enttäuscht, dass mein Sohn einen solchen, wie mir schien, destruktiven Weg gewählt hatte.
Vielleicht habe ich seine Abgrenzung zu stark als persönliche Ablehnung aufgefasst. Möglicherweise ging es ihm in erster Linie um seine Autonomie. War sein Handeln gar Ausdruck seiner starken Persönlichkeit? Ich weiss es nicht. Spuren des Verstehens konnten den seelischen Schmerz zwar lindern aber nicht tilgen.
Heute grüble ich weniger. Die persönliche Schuldfrage ist in den Hintergrund gerückt. Manchmal denke ich an spezielle gemeinsame Momente. Das kann schön oder traurig sein. Die Sehnsucht nach einem Wiedersehen ist weniger drängend, die Ängste finden seltener einen Weg ins Bewusstsein.
Eher bin ich dankbar, dass ich diesen besonderen Menschen kennengelernt habe und ihn über viele Jahre hinweg begleiten konnte. Es freut mich, dass er mit seinem vulnerablen und exzentrischen Wesen sein Leben auf seine Weise ganz offensichtlich meistert, wie mir sein Vater berichtet. Meine gelegentlichen Zweifel, ob er ein glückliches Leben hat, nähre ich weniger. Sie bringen weder mir noch ihm etwas Positives. Ich bin nicht mehr entsetzt darüber, dass mich ein solch schmerzhaftes Leid getroffen hat. So viele Menschen tragen ein sehr schweres Leid. Warum sollte ausgerechnet ich davon ausgenommen sein.

Durch Vertrauen und Demut zu mehr innerem Frieden

Inneren Frieden finden ging bei mir langsam. Bis ich realisierte, dass mein Lebensglück nicht von einem Wiedersehen mit meinem Sohn abhängt, ist viel Zeit verflossen. Erwarten tue ich es nicht, darauf hoffen schon. Ich würde mich darüber freuen, im Wissen, dass der Ausgang unsicher ist. Wenn ich für ihn bete, dann weniger um ein Wiedersehen, viel mehr für ein erfülltes Leben, in welchem er sich selbst und anderen keinen Schaden zufügt. Ich wünsche mir für ihn, dass er sich geliebt fühlt und in kritischen Phasen mehr als einen Weg sieht.
Nach seinem Suizidversuch mit 17 Jahren habe ich gelernt, dass ich die Wege eines Kindes zunehmend ganz ihm selbst überlassen muss und darf – bis hin zur Frage, ob es sich für oder gegen das Leben entscheidet. Heute lebe ich in der inneren Gewissheit, dass mein geliebter Sohn in der ewigen Güte, Liebe und Weisheit aufgehoben ist. Gott hält ihn und mich in seinen Händen. Er weiss den Weg für beide, auch wenn ich ihn nicht verstehe (in Anlehnung an Bonhoeffer).
Meine persönliche Einflussnahme auf die Schritte meiner Nächsten ist gering. Ihr Glück liegt nicht in meiner Hand. Das hat mich demütig gemacht und mir letztlich innere Ruhe geschenkt.

„Denke daran, die beste Beziehung ist die, in der die Liebe für den anderen größer ist als das Verlangen nach dem anderen”.

Dalai Lama.

Das übe ich – und habe, in diesem Sinne eine ganz ordentliche Beziehung zu meinem verlorenen Sohn.