Das Drama der Uiguren
«Ich fühle mich, als müsste ich helfen, etwas zu tun… Aber was kann man in so einer Situation tun? Die Vorstellung, dass gerade jemand in dem Lager sitzt und stumme Gebete in den Himmel schickt, während ich hier im Bett liege und in den gleichen Nachthimmel schaue, bricht mir das Herz…». panphyni
Panphynis Zitat (gelesen am 16.2.2022) ist eine von 6015 Reaktionen auf die Dokumentation ‘Das Drama der Uiguren’, ausgestrahlt am 9.2.2022 auf ARTE.
«Auch ich weine, wenn ich an die handfesten, groben Menschenrechtsverletzungen am Uigurischen Volk denke», sage ich im Stillen zu panphyni, «ich bin wie du erschüttert».
Der Film zeigt das geplante Auslöschen der Uiguren. Augenzeugen berichten über ihre Erfahrungen und Beobachtungen. Der Anthropologe Adrian Zenz stellt die Methoden und Ergebnisse seiner Forschung vor. Die skandalöse Tatsache der radikalen und vollständigen Auslöschung der uigurischen Kultur ist eine der grössten Menschenschändung der heutigen Zeit. Mein Schreiben darüber ist ein, wenn auch hilfloser Akt der Solidarität mit dem zu tiefst verletzten Volk – mit uigurischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, Kindern, deren Identität auf gröbste Weise mit Füssen zertreten wird.
Es passiert jetzt, heute, in dieser Zeit!
Keine Autonomie für Uiguren
Xinjiang ist die die Heimat der turksprachigen Uiguren und anderer ethnischen Minderheiten. Die Eingliederung in die Volksrepublik China erfolgte 1949, zuvor stand das als Ostturkestan bekannte Land unter Einfluss der Sowjetunion. Die Gegend ist reich an fossilen Energievorräten und für China strategisch bedeutsam. Schon die alte Seidenstrasse führte durch das Gebiet, wie auch die geplante neue. Die Uiguren sind muslimisch, pfleg(t)en eine eigene Kultur, kommunizier(t)en in ihrer eigenen Sprache, ha(tt)en eine eigene Presse. Ihre Autonomiebestrebungen prägten, mit wechselndem Erfolg das politische Klima der vergangenen Jahrzehnte in der Region, in welcher auch Han-Chinesen siedeln und zunehmend wichtige Positionen übernommen haben. Die Uiguren fühlten sich dadurch in ihrer Autonomie bedroht und fürchteten um ihre Kultur und Religion. Nicht zu unrecht. Schon während der Kulturrevolution wurden unter Mao in Xinjiang wichtige Kulturgüter zerstört. Nach Maos Tod verfolgte Xi Zhongxun, der Vater Xi Jinping (!) allerdings eine Integrationspolitik von Minderheiten, was zu einem vorübergehenden Aufblühen der Uigurischen Kultur geführt hat. Der uigurische Frühling war von kurzer Dauer.
China hatte in der Sowjetunion gesehen, wohin die Idee eines Vielvölkerstaates führen kann. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wollten die chinesischen Machthaber in China Ähnliches verhindern. Abspaltungen von autonomen Regionen wie Xinjiang mussten um jeden Preis verhindert werden. Dies wird als ein Grund angesehen für die Zunahme der Repression gegenüber den Uiguren, was vermehrt zu Unruhen führte. Die schweren Kämpfe im 2009 gingen von den Han-Chinesen und den Uiguren aus. Für letztere sollten die Folgen desaströs sein. Die Regierung Xi Jinping entwickelte ihren Plan zur Auslöschung der uigurischen Identität und zur Niederschlagung aller, in ihren Augen radikalen Elemente. Die weltweite Angst vor dem IS, der nach chinesischer Einschätzung auch in der Umgebung von Xinjiang operierte und China bedrohte, rechtfertigte Chinas Plan zusätzlich.
Xi Jinping strebt nationale Einheit und Harmonie durch Gleichheit an. Eine Vielvölkerstaat mit teilautonomen Mitgliedern, wie es seinem Vater noch vorgeschwebt hatte, steht nicht auf seiner politischen Agenda. Sein Ziel der Weltmacht erfordert die Eliminierung aller nicht chinesischen Elemente und heiligt jedes Mittel. Die Strategien sind technisch perfekt durchdacht, die Durchführung erfolgt eiskalt. Zweifel gibt es keine, denn nur Gleichheit führt die Menschen zu Wohlstand und China zur Weltmacht.
Zerstörung der Uiguren
Wunsch nach Unabhängigkeit, islamischer Glaube, solche Gedanken haben für etliche Chinesen den Charakter von bösen ideologischen Viren. Böses muss man mit Bösem ‘heilen’ und präventiv verhindern. Und zwar schnell, systematisch, radikal. In einem umfassenden Verhaltenskatalog halten die Vernichtungstechnokraten fest, was ‘böse’ ist, beispielsweise den Hijab tragen, während dem Ramadan das Restaurant schliessen oder ins Ausland telefonieren. Ein ausgeklügeltes technisches System überwacht die Menschen. Wer gegen die Bestimmungen verstösst, wird verhaftet und muss sich in sogenannten Berufsbildungszentren der Gehirnwäsche unterziehen. Hunger und Zwangsarbeit machen die Menschen in diesen Gefängnissen gefügig, Folter und Vergewaltigungen gehören zur Praxis der Umerziehung. Die Kinder der Inhaftierten werden in Heimen chinesisch sozialisiert. In Lehrbüchern verschwindet uigurisches Gedankengut vollkommen, uigurische Dichter kommen nirgendwo vor. In Kürze wird kein Kind mehr uigurisch sprechen, kein uigurisches Lied mehr singen, das Flagge nicht mehr kennen, prophezeien Menschen, die mit der Lage vertraut sind. Zur Praxis der Eliminierung der Uiguren gehört zudem die Sterilisierung von gebärfähigen Frauen. Die Geburtenrate von Uiguren ist bereits stark zurückgegangen. Die Kontrolle des innerfamiliären Lebens ist weiterer Bestandteil der angsteinjagenden Elliminationsstrategie der Chinesen. Sogenannte Han-Freunde leben unter dem Deckmantel der Völkerverständigung über Tage mit uigurischen Familien und beobachten deren Wertesystem. Wehe wenn der Koran gelesen wird! Xi Jinping ist der einzige Gott. Friedhöfe werden zerstört, die Verstorbenen unter einer Nummer in einem sterilen Gebäude aufgebaut. Die Erinnerung an uigurische Vorfahren soll ausgelöscht werden.
So geht die planmässige Zerstörung der Ethnie Uiguren. Fachleute befürchten, dass der Prozess unumkehrbar ist.
Unsägliches Leid – unsagbarer Verlust
Die Augenzeugen im Film sind gezeichnet vom Leid, das sie selbst erfahren oder gesehen haben. Ihre Gesichter und Worte brechen einem das Herz. Millionen von Uiguren sind der Eliminierungspraxis von Chinesen total ausgeliefert. Die Einwände aus demokratischen Staaten gegen die Auslöschung einer Ethnie sind kraftlos. Politiker und Politikerinnen sprechen zwar die Umerziehung der Uiguren auf dem diplomatischen Parkett an. Es kommt einem als Teil eines diplomatischen Games vor, denn man weiss hüben und drüben, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit dem aufstrebenden China nicht aufs Spiel gesetzt werden. Unter Protest scheint man zu akzeptieren, dass die chinesische Regierung keine demokratischen Werte und keine Menschenrechte realisiert. Olympische Spiele werden dennoch fröhlich und pompös in China durchgeführt – zur Förderung der Völkerverständigung, nota bene.
Die Weltöffentlichkeit muss zur Kenntnis nehmen, dass in Xinjiang eine Ethnie brutal ausgerottet wird. Die sogenannten Ausbildungszentren sind zwar keine Tötungslager im strengen Sinne des Wortes. Ermordet wird die Identität der Uiguren, weil sie dem chinesischen Ideal der vollkommenen Harmonie nicht entsprechen. Das Leid dieser Menschen ist unsäglich – und mehr als eine humanitäre Katastrophe und Schande – etwas, das nicht geschehen darf – und doch geschieht.
Es gibt kein Wort für das, was ich für das geschändete Volk empfinde. Auch nicht für die Kaltblütigkeit Täter.
Schweigen.
Beten.
Nie vergessen.
Dennoch hoffen.
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