Es beunruhigt mich, dass so viele Menschen sich so ganz und gar nicht verstehen. Extremhaltungen spalten Familien, Gemeinden, die Gesellschaft – in Menschen die Corona leugnen oder bekämpfen, in Menschen, die einen kompromisslosen Klimaschutzes fordern oder behindern. In Amerika kämpfen nationalistisch gesinnte Menschen für ein »weisses« gegenüber einem multikulturellen Land. Gefährlich wird es, wenn Menschen belegte Tatsachen negieren, eigene Meinungen verabsolutieren und Andersdenkenden feindlich begegnen, wenn Hass sich in ihren Herzen einnistet. Müssen wir mit der Angst vor Gewalt leben? Wie finden Menschen zu Offenheit – zu Respekt – vielleicht sogar zu Neugier auf das Andere?
Denkweisen gehen vorüber
Meinungsvielfalt ist etwas Gutes. Sie entspricht der unendlichen Vielfalt in der Welt, der Einzigartigkeit jedes Menschen, der immerwährenden Bewegung von Leben.
In Meinungen widerspiegeln sich belegte Tatsachen und Theorien, Erfahrungen, und Gefühle, Handlungen und Reflexionen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Glaube und Unglaube. Gewisse Denkweisen gewinnen temporär den Status einer Wahrheit, haben aber in aller Regel ein Ablaufdatum. Von Menschen definierte »Wahrheiten« sind per se vorläufig. Ihre Vergänglichkeit muss uns nicht betrüben – das Wissen darum sollte uns aber an der Ideologisierung von Menschenwerken hindern. Wer sich nicht an seine kleine enge Welt krallt, kann sich besser für eine andere öffnen. Wer weiss, dass die Wahrheit nicht von dieser Welt ist, wird bescheiden. Hüten wir uns vor falschen Gottheiten!
Denkweisen sind verhandelbar
Wollen wir die Welt vertiefter verstehen und lebenswert für Alle gestalten, benötigen wir selbstredend Fakten und Einsichten, wobei belegte Tatsachen, im Gegensatz zu subjektiv gefärbten Meinungen nicht verhandelbar sind. Wenn der Austausch darüber nur zwischen Gleichgesinnten und via Maschine fliesst, wenn Gleichdenkende sich laufend gegenseitig bestätigen – und Wissensmaschinen füttern, welche weitere Informationswelten für Gleichdenkende ausspucken, werden kaum tragfähige Lösungen für die grossen Probleme der Welt entstehen können. Im Gegenteil, der Geist wird eng und selbstbezogen. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, sagt ein Sprichwort. Nun soll ein Mensch auch nicht alles »fressen«, aber jeder Mensch sollte Menschen mit anderen Ideen und Hoffnungen zur Kenntnis nehmen – zumindest wahrnehmen – besser wäre es, versuchen sie zu verstehen. Das ist zweifellos eine grosse Herausforderung. Wer Trump als Heilsbringer vergöttert, kann sich mit einem, der ihn ihm das inkarnierte Böse zu erkennen meint, schlicht nicht mehr verständigen – völlig nachvollziehbar. Dennoch sollten wir es versuchen. Sich in die Fusstapfen der Anderen versetzen ist ein gutes Mittel gegen Abschottung – und erst noch gratis.
Ressourcen gehören allen Menschen
Menschen sind offene Wesen, die in einer offenen Welt leben. Die Würde des Menschen besteht nicht darin, sich von Algorithmen oder Ideologien dominieren zu lassen. Würdevolle Menschen sind selber Herr und Frau im Hause ihres Denkens und Handelns, aber im Angesicht von harten Tatsachen und der Vergänglichkeit von Standpunkten bescheiden. Sie gestalten und schützen ihr Leben, das Leben ihrer Liebsten, das Leben überhaupt – ausdauernd und hoffnungsvoll. Sie tun es im Austausch mit Anders- und Gleichdenkenden, denn: »Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel« (Paul Watzlawick zugeschrieben). – Und der Kreis ihrer Sorge geht über die eigenen Blumentöpfe auf dem Balkon hinaus. Wer sich das menschliche Gefühl für Gerechtigkeit erhalten hat, weiss intuitiv, dass kein Mensch mehr Anspruch auf Wissen oder andere Ressourcen wie Nahrung, Wasser oder Sauerstoff als ein anderer hat. Wenn wenige Menschen sich zu viel nehmen, haben viele Menschen zu wenig. Wenn die einen die Erde auf Kosten anderer ausrauben, gerät die Welt in eine extreme Schieflage. Das ist unsere aktuelle Situation. Niemand kann wirklich erstaunt darüber sein, wenn zwischen extrem Reichen und extrem Armen eine Kluft entsteht, wenn die notorischen Verlierer Hass gegen die ewig gleichen Gewinner schüren. »Gegner sind nicht Feinde«, hatte Joe Biden nach seiner Wahl zum Präsidenten verkündet. Wie nun?
Neues denken
Die Kluft zwischen Ideologien kann nicht durch Ideologen geheilt werden. Abgeschlossene Welten erzeugen absolute Meinungen und Idole. Vergötterte Menschen setzen sich eher für ihr persönliches Gottesreich, selten für die Schöpfung und ihre Bewohner und Bewohnerinnen ein.
Die Schöpfung braucht Diener und Dienerinnen, Menschen die die Welt entdecken, gestalten und schützen wollen – sich im Sinne eines Dienstes leidenschaftlich engagieren; für das gesamte Leben im Hier und Jetzt – und was morgen kommt. Jeder Mensch sehnt sich nach Menschen, die einander zuhören und verstehen wollen, die in Selbstverständlichkeit den Reichtum der Schöpfung mit allen teilen. Die Welt lechzt nach unerschrockenen Menschen, die hoffnungsvoll das Richtige tun.
Das Leben will immer wachsen, sich erneuern, ist ewig. Die Heilung des Lebens liegt im Riss, dem Einfallstor für Licht. Im leeren Raum zwischen scheinbar Unversöhnlichem wird Neues entstehen. Eine Taube wird frische Olivenzweigen in die Leere bringen. Mit Gottes Hilfe und der Mithilfe von Menschen werden neue Bäume wachsen. Neue Werte und ein neues Füreinander wird entstehen, neue Freude das Leben heiterer machen. Junge Menschen werden neue Realitäten schaffen und die Alten besänftigen. Meinen Grosskinder beispielsweise fällt schon nicht mehr auf, dass ihr Pultnachbar eine dunkle Hautfarbe hat. Die guten Überbleibsel des Alten werden Dünger für das Neue sein. Das braucht viel Zeit. Bekanntlich aber spenden erst alte Olivenbäume richtig gutes Olivenöl.
Sie finden das naiv?
Was ist mit Kamela Harris und Greta Thunberg? Was ist mit «Black lives matters», was mit den weissen Polizisten, die vor den schwarzen Menschen niedergekniet sind?